Andrew Wisely
Research Fellow (02/2020–06/2020)
Zwischen Auschwitz und Frankfurt. Sein und Schein des SS-Arztes Franz Lucas (1911–1994)
Dieses Projekt untersucht Dr. Franz Bernhard Lucas (1911–1994), einen SS-Lager- und Truppenarzt, der 16 Monate in Auschwitz-Birkenau, Mauthausen, Stutthof, Ravensbrück und Sachsenhausen tätig war. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) leugnete er zuerst, 1944 Selektionen an der Rampe von Auschwitz-Birkenau vorgenommen zu haben, gab aber schließlich zu, dies unter Druck doch getan zu haben. Seine vermeintliche Furcht und die komplexen Zeugenaussagen von Überlebenden aus Ravensbrück milderten das Strafmaß und sicherten 1970 seinen Freispruch. Dieser Prozess steht im Zentrum des Buchvorhabens, dominiert es aber nicht. Für ein umfassenderes Porträt von Lucas sind nämlich Universitätsunterlagen, Verhöre, andere Gerichtsakten, Zeugnisse, Briefe, Offiziersakten und Lagerunterlagen erforderlich. Diese helfen uns, seine Entwicklung in der ‚Volksgemeinschaft‘ und sein eugenisches Handeln gegenüber dessen rassistisch definierten Außenseitern einzuordnen. Das Vorhaben sieht Lucas als Januskopf – vorwärts und rückwärts blickend, widerstrebend und opportunistisch zugleich. Beispiele für Täuschungen stehen Berichten über Lucas’ Außergewöhnlichkeit gegenüber. Weiters wird in dem Projekt die Kultur der Amnestie und Viktimisierung in den 1950er -und 1960er-Jahren, die die Übernahme von Verantwortung und Reue gegenüber den wahren Opfern verzögerte, in den Blick genommen.
Andrew Wisely ist außerordentlicher Professor für Deutsch an der Baylor University, wo er alle Deutschniveaus unterrichtet und ein Auslandsstudium in Dresden mitleitet. Er ist Autor von Arthur Schnitzler und Twentieth-Century Criticism (2004). Er hat Artikel über Sterilisation, Trauma und Beichte veröffentlicht. Forschungs- und Lehrinteressen umfassen österreichische Literatur, medizinische Literaturdiskurse und -ethik, Zeugnisse, Nachkriegsjustiz, Täterrhetorik und Trauma.
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