Ines Koeltzsch
Research Fellow (10/2014 - 08/2015)
Zwischen Vergessen und Nostalgie. Ländlich-jüdische Lebenswelten im kulturellen Gedächtnis Zentraleuropas vor und nach der Shoah
‚Juden sind Städter‘ – so lautet eines der bekanntesten Auto- und Heterostereotypen über Juden in der Moderne. Dieses Wahrnehmungsmuster des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat (nicht nur) die Historiografie bis in die Gegenwart hinein maßgeblich beeinflusst. Die Geschichte der Juden in ländlichen Regionen kann daher als eine zweifach marginalisierte Geschichte verstanden werden: Sie geriet entweder in Vergessenheit oder ist von einer starken Idealisierung geprägt. Das Projekt untersucht am Beispiel der böhmischen Länder und der Tschechoslowakei die kollektiven und individuellen Erinnerungsformen an die ländlich-jüdischen Lebenswelten im Zentraleuropa vor und nach der Shoah. Im Zentrum des Interesses stehen dabei regionsspezifische wie -übergreifende Inhalte und Topoi sowie die Funktionen von Vergessen und Nostalgie im kulturellen Gedächtnis an die ‚Landjuden‘. Diese werden anhand verschiedener Medien (Literatur, Autobiografien, Gedenkbücher etc.) herausgearbeitet. Übergreifend wird zudem gezeigt, dass sich die kollektiv geformten Erinnerungsmuster neben ihren jeweiligen individuellen Ausprägungen nicht erst nach der Shoah, sondern bereits zuvor im Kontext der Urbanisierung und des Niedergangs der ländlich-jüdischen Gemeinden herausgebildet hatten.
Ines Koeltzsch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Masaryk-Institut und Archiv der Akademie der Wissenschaften Prag. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen sowie der Stadt- und Migrationsgeschichte im Zentraleuropa des 19. und 20. Jahrhunderts.