„Nie wieder!“ – dieser Ruf, als Motto auf zahlreichen Veranstaltungen wie den Befreiungsfeiern in den Konzentrationslagern zu hören bzw. auf Transparenten und Plakaten seit 1945 zu lesen, war zentraler Ansporn und zentrales Motiv für vielfältige Aktivitäten von Überlebendenorganisationen, in denen sich ehemalige Widerstandsangehörige und politische KZ-Häftlinge nach der Befreiung zusammenschlossen. Im Kalten Krieg vielfach entlang politisch-ideologischer Grenzen zerstritten, entwickelten die Organisationen der Überlebenden beträchtliches Engagement für die geschichtliche Aufarbeitung und Erinnerung an Krieg, Widerstand und (politische) Verfolgung, für Entschädigung, Renten und medizinische Versorgung und für eine Bestrafung der TäterInnen. Darüber hinaus waren sie vielfach sozial tätig, organisierten Hilfe für politische Gefangene der Nachkriegsdiktaturen oder ermöglichten Kuraufenthalte für die gesundheitlich schwer beeinträchtigten Überlebenden. Als Teil der beiden Blöcke im weltpolitischen Konflikt der Nachkriegszeit waren sie zudem in die Propagandakampagnen von Ost und West einbezogen, in der Friedensbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre engagiert und setzten sich für eine Aussöhnung der ehemaligen Kriegsgegner bzw. eine Entspannung zwischen Ost und West ein. Die Überlebendenzusammenschlüsse waren Teil von Netzwerken aus unterschiedlichen lokalen, nationalen und internationalen Organisationen, darunter die Vereinten Nationen und Verbände ehemaliger Soldaten.
In den letzten Jahren erfährt die Geschichte der NS-Opfer und ihrer vielfältigen Aktivitäten verstärkte Aufmerksamkeit in der Forschung, wobei auch die Ambivalenzen des Engagements ehemals politisch Verfolgter thematisiert werden. Beispielsweise waren die Verbände politisch Verfolgter am Ausschluss bestimmter Überlebender aus der Entschädigung beteiligt. In den Volksrepubliken stützten sie und ihre Funktionäre die Regime, transportierten das offizielle Geschichtsbild und waren häufig tief in die politischen Verfolgungen verstrickt.
Ziel der Tagung ist es, einen Querschnitt durch die Forschungen zu den Überlebenden und ihren vielfältigen Zusammenschlüssen zu gewinnen. Die leitende Frage ist deshalb bewusst offen und weit formuliert. Im Zentrum der Tagung soll das Verhältnis zwischen Gesellschaft, Politik, Justiz, Erinnerung und den Überlebenden bzw. ihren Organisationen stehen.
https://us02web.zoom.us/j/81599632847
Abstracts & CVs
Programm:
Montag, 19. April – Nachmittag
14:00 Eröffnung
Maximilian Becker (Österreichische Akademie der Wissenschaften, ÖAW)
Terezija Stoisits (Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, VWI)
Michael Rössner (Österreichische Akademie der Wissenschaften, ÖAW)
Gerhard Baumgartner (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, DÖW)
Ulrike Lunow (Collegium Carolinum)
Ausformungen von Überlebendenerinnerungen zwischen Organisationen, KZ-Gedenkstätten und Familiengedächtnissen
Chair: Heidemarie Uhl (ÖAW)
14:30 Alexander Prenninger (Ludwig Boltzmann Institute for Digital History)
Zwischen Nähe und Distanz. Zur Bedeutung von Überlebendenorganisationen in den Erinnerungen von Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen
14:50 Christian Rabl (Verein MERKwürdig – Zeithistorisches Zentrum Melk)
Umkämpftes Erinnern. Zur Entstehung der KZ-Gedenkstätte Melk
15:10 Andreas Kranebitter (Universität Graz), Maria Pohn-Lauggas (Georg-August-Universität Göttingen)
Ohne Verband. Zur Bedeutung der Überlebenden-Verbände im Familiengedächtnis stigmatisierter KZ-Überlebender
15:30 Daniel Schuch (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Buchenwald und Bergen-Belsen im Kalten Krieg. Überlebendenverbände als Akteure in KZ-Gedenkstätten
15:50 Diskussion
16:20 Pause
16:50 Filmvorführung
„La Bataille du Rail“
F 1946, 85 Min., Französisch/Deutsch mit englischen Untertiteln Regie: René Clément
Mit einer Einleitung von Daniel Mollenhauer (Ludwig-Maximilians- Universität München)
Dienstag, 20. April – Nachmittag
Auf dem Weg zu einer Transnationalen Erinnerungskultur (?)
Chair: Kerstin von Lingen (Universität Wien)
14:00 Markus Wegewitz (Friedrich-Schiller-Universität Jena) Aporien einer Meistererzählung.
Das Comité International de Dachau, Paul Berben und die ,offzielle‘ Geschichte des Konzentrationslagers
14:20 Maximilian Becker (ÖAW)
Die Widerstandserinnerung der „Fédération Internationale des Résistants (FIR)“ im Kalten Krieg
14:40 Juliette Constantin (Eberhard Karls Universität Tübingen/Universität Aix-Marseille)
Erinnerungspraxen dreier französischer Organisationen von KZ-Überlebenden im internationalen Kontext (1945–2015)
15:00 Diskussion
15:30 Pause
Politsches Engagement von Überlebenden im Kontext des Kalten Krieges
Chair: Ulrike Lunow (Collegium Carolinum)
16:00 Henning Fauser (Universität Nantes)
„Haben wir das Recht, unpolitisch zu sein?“ Auseinandersetzungen ehemaliger französischer KZ-Häftlinge über das politische Engagement ihrer Verbände
16:20 Johannes Meerwald (Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main)
Das antifranquistische Gedächtnis der „Federación Española de Deportados e Internados Políticos“ im Exil
16:40 Kristina Meyer (Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Berlin)
Die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten
17:00 Diskussion
17:30 Pause
Keynote
Chair: Éva Kovács (VWI)
18:00 Brigitte Bailer (DÖW)
Die Überlebendenverbände: von Solidarität und Selbsthilfe zu Opferkonkurrenz und politischer Instrumentalisierung
Mittwoch, 21.April – Nachmittag
Opfer rassistischer Verfolgung und der Kampf um Entschädigung
Chair: Gerhard Baumgartner (DÖW)
14:00 Kinga Frojimovics (VWI)
The Holocaust Library and Research Center of San Francisco. The Beginnings of an American Grassroots Organization of Holocaust Survivors in the USA in the 1970–1980’s
14:20 Gaëlle Fisher (Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, München)
The United Restitution Organization and Romanian Jewish Survivors’ Struggle for Compensation from West Germany during the Cold War
14:40 Petre Matei (VWI)
Jewish and Roma Survivors’ Associations in Communist Romania and their Efforts at German Compensation
15:00 Diskussion
15:30 Pause
Erinnerungen weiblicher KZ-Häftlinge und das Streben nach einer Bestrafung der NS-Täter/Innen
Chair: Philipp Rohrbach (VWI)
16:00 Pavla Plachá (Ústav pro studium totalitních režimů – Institut für das Studium totalitärer Regime)
Das Gedenkmonopol der ehemaligen tschechoslowakischen kommunistischen Häftlingsfrauen des Konzentrationslagers Ravensbrück, seine Veränderungen und Konsequenzen
16:20 Helga Amesberger/Brigitte Halbmayr (Institut für Konfliktforschung, Wien)
Die Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück. (K)ein feministischer Verband im Dienste der Erinnerungspolitik
16:40 Nadine Jenke (Friedrich-Schiller-Universität Jena) Flexibilität und Synergien.
NS-Verfolgte und die Teilhabe an der Strafverfolgung von NS-Verbrechen vor deutschen Gerichten
17:00 Katharina Stengel (Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main)
Die Rolle der Überlebenden in den bundesdeutschen Auschwitz-Prozessen
17:20 Diskussion
18:00 Ende
Konzept: Maximilian Becker (ÖAW)
Veranstalter/Innen:
Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) und Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte (IKT) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien in Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), Wien und dem Collegium Carolinum, München
Titelfoto: Kranzniederlegung der FIR-Delegation am Internationalen Mauthausen-Treffen 1955 (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes)
Mit der Teilnahme an dieser Veranstaltung stimmen Sie der Veröffentlichung von Fotos, Video- und Audioaufzeichnungen zu, die im Rahmen der Veranstaltung entstehen.
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