René Schlott
Senior Fellow (03/2025 – 08/2025)
Raul Hilberg (1926-2007). Biographische Studien zu Leben, Werk und Wirkung
Raul Hilberg, von 1956 bis 1991 Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Vermont, war einer der ersten Wissenschaftler weltweit, der sich kurz nach dem Kriegsende mit dem nationalsozialistischen Genozid an den Jüdinnen und Juden Europas beschäftigte. Der jüdische Exilant Hilberg, 1926 in Wien geboren und 1939 in die USA geflohen, war im Zweiten Weltkrieg als junger US-Soldat nach Europa zurückgekehrt. Nach Kriegsende sichtete und wertete er als Deutsch-Muttersprachler im Auftrag der US-Regierung jahrelang das beschlagnahmte NS-Aktenmaterial aus und gewann so die Leitidee für seine wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten, in denen er den Holocaust als einen gewaltigen bürokratischen Prozess interpretierte.
Das Biographieprojekt will nicht nur den Lebensweg dieses außergewöhnlichen Wissenschaftlers nachzeichnen, sondern auch die Rezeptionsgeschichte seines frühen Opus Magnum The Destruction of the European Jews (1961) verfolgen. Erst mehr als zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung wurde es auch auf Deutsch (1982) und Französisch (1985) übersetzt. Jede einzelne dieser Ausgaben stand vor Publikationsproblemen und löste vielfältige wissenschaftliche Debatten aus, nicht zuletzt weil Hilberg sich ganz auf die Täterakten stützte und auf Zeugnisse der Opfer weitgehend verzichtete. Von anderen Historiker:innen musste sich Hilberg zudem wegen seiner kritischen Darstellung der Judenräte in den Ghettos und wegen seiner skeptischen Einschätzung des jüdischen Widerstandes scharfe Kritik gefallen lassen. Aufgabe der Arbeit wird es sein, diese Auseinandersetzungen in einer Debattengeschichte zu analysieren und sie mit Hilbergs 1996 erschienenen Lebenserinnerungen (The Politics of Memory, dt. Unerbetene Erinnerung) zu kontrastieren.
René Schlott absolvierte zunächst parallel zu einer kaufmännischen Berufsausbildung ein Diplom der Betriebswirtschaft. Anschließend studierte er an der FU und der Humboldt Universität Berlin sowie an der Universität Genf die Fächer Geschichte, Politik und Publizistik. Ab 2007 war er Stipendiat am Graduiertenkolleg „Transnationale Medienereignisse“ an der Universität Gießen, wo er 2011 promovierte. Von 2014 bis 2022 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. 2013 sichtete er mit einem Stipendium des Deutschen Historischen Instituts Washington den Nachlass von Raul Hilberg an der University of Vermont. Seit 2008 arbeitet Schlott als freier Autor und Buchkritiker, u.a. für Spiegel Online, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit und Süddeutsche Zeitung.
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